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Christian Weise: Tränen der Jungfernschaft
Süßes Gift verliebter Herzen,
Schwaches Werkzeug voller Kraft,
Wertes Ziel der keuschen Schmerzen,
Du berühmte Jungfernschaft,
Freilich gehet deine Zier
Allen schönen Sachen für.

Wie die Rosen in dem Maien
Ihre bleiche Lieblichkeit
Niemals schöner von sich streuen,
Als wenn ihre Sicherheit
Unberührt und unbefleckt
In dem grünen Stocke steckt.

Also muß ich dich erheben,
Weil du keiner fremden Hand
Dich zum Raube willst ergeben,
Sondern das geliebte Pfand
Aller Ruh und Lebensrast
An der süßen Freiheit hast.

Doch wie lange kann das währen?
Endlich muß die Jugend sich
Durch den schnellen Lauf verzehren
Oder es berufet dich
Liebe, Lust und Eitelkeit
In der Tugend Wettestreit!

Will man bei den Apfelbäumen
In der Lust spazieren gehn,
Darf man nicht die Zeit versäumen,
Wenn sie in der Blüte stehn,
Eh der Gärtner nach der Saat
Auch die Frucht gebrochen hat.

Manches Schäfchen trägt die Schwere
Seiner Wolle mit Verdruß,
Weil es auf des Schäfers Schere
Gar zu lange warten muß.
Manche Rose krümmt den Stiel,
Weil sie niemand brechen will.

Gute Nacht, du leere Schüssel,
O du Leuchter ohne Licht,
Festes Schloß doch ohne Schlüssel,
Gute Waag und kein Gewicht!
Ach, wie wohl ist die daran,
Die bei Zeiten freien kann.



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